Aktuelle Situation ist nicht mit der Vergangenheit vergleichbar

Und so sind wir mit Charts überschwemmt worden, in denen die aktuellen Kursentwicklungen an den Aktienmärkten über jene Verläufe in den Jahren 1929, 1987, 2000 und 2008 gelegt worden sind. Aus meiner Sicht erweist sich der Ölpreisschock im Jahr 1973 noch als stärkste Analogie in Bezug auf das aktuelle Geschehen, ein exogener Schock aus Sicht einer sich weiter abschwächenden und höchst fragilen Ökonomie.

Realität ist jedoch, dass es keine analoge Situation in der Vergangenheit auszumachen gibt, die mit den heutigen Ereignissen vergleichbar wäre. Und aus diesem Grund werden auch alle Prognosen, die auf in der Vergangenheit zu beobachtenden Performances basieren, in die Irre führen.

Chartisten und Analysten berufen sich darauf, dass allen Märkten dieselben Muster zugrunde lägen, worin sich wiederum die menschliche Natur spiegele. Wer also nach Korrelationen in Bezug auf die Volatilität und die vorherrschenden Bewertungen Ausschau halte, die sich in der Vergangenheit als „zutreffend“ erwiesen haben, wird auch im Jahr 2020 einigermaßen zielsichere Einschätzungen treffen können.

Glaubt tatsächlich irgendjemand, dass sich die im vergangenen Jahrzehnt oder über den Verlauf der letzten beiden Dekaden vorherrschenden Korrelationen als Indikatoren mit hoher Aussagekraft oder einer hohen zugrundeliegenden Wahrscheinlichkeit in Bezug auf die Zukunft heran ziehen lassen, während sich das ganze brüchige Konstrukt eines fiktiven Kapitals samt der durch die Globalisierung und die „Finanzialisierung“ der Wirtschaft hervorgerufenen Extreme alle zum selben Zeitpunkt in einem Zustand der Auflösung befinden?

Ich habe Ihnen eine Reihe folgenschwerer Unterschiede zwischen allen Rezession in der Vergangenheit und der aktuellen Situation zusammengestellt:

1. Die privaten Haushalte haben sich niemals zuvor als derart abhängig von der Verschuldung als ausgleichenden Faktor für stagnierende Löhne und Gehälter erwiesen.

2. Die realen Gewinne (inflationsbereinigt) haben sich aus Sicht der unteren 90 Prozent niemals zuvor in einer derart sichtbaren und solch lange andauernden Stagnationsphase befunden.

3. Unternehmen und Konzerne haben sich niemals zuvor als derart abhängig von der Verschuldung erwiesen (Bonds emittierend oder Kredite aufnehmend), um geldverbrennende Operationen zu finanzieren (siehe Netflix) oder Aktienrückkäufe zu tätigen, in deren Zuge den jeweiligen Unternehmen immens hohe Schulden aufgeladen werden, während sich die Insider persönlich bereichern.

4. Die Aktienmärkte haben sich niemals zuvor als derart abhängig von etwas erwiesen, was sich als betrügerisch bezeichnen lässt – namentlich Aktienrückkäufe –, um deren Bewertungen auf künstliche Weise in die Höhe zu treiben.

5. Die breite Wirtschaft hat sich niemals zuvor als derart abhängig von absurd überteuerten Aktienbewertungen erwiesen, um finanziell darbende Pensionsfonds im Rennen zu halten und die Ausgaben der obersten zehn Prozent der Gesellschaft, die sich im Besitz von 85 Prozent aller ausstehenden Aktien befinden, zu stimulieren. Ich erinnere an dieser Stelle an den so genannten „Vermögenseffekt“.

6. Sowohl die breite Wirtschaft als auch die Aktienmärkte haben sich niemals zuvor als derart abhängig von der Freigiebigkeit unter Zentralbanken, die Geld gratis an Finanziers, Banken und Unternehmen aushändigen, erwiesen. Bei Licht besehen handelt es sich um nichts anderes als eine dauerhafte und permanente Gelderzeugung, von der einige Wenige auf Kosten der Allgemeinheit profitieren, woraus ein System der Veruntreuung entstanden ist.

7. Statistiken der Bundesregierung haben sich niemals als derart manipuliert oder verzerrt erwiesen, mit dem Ziel, eine neo-feudale Agenda durchzusetzen, die sich auf eine weitläufige Prosperität beruft, welche sich real betrachtet jedoch als gänzlich fiktiv bezeichnen lässt.

8. Große Teile der Wirtschaft haben sich niemals zuvor aus derart windigen Bereichen wie Kartellen und Quasi-Monopolen zusammengesetzt, die sich neben einer höchst obskuren Preisgestaltung auch einer Manipulation der Regierungsaufgaben bedienen, um ihre Profite zu maximieren, während sich sowohl die Quantität als auch die Qualität der angebotenen Güter und Dienstleistungen verschlechtert hat.

9. Die Wirtschaft hat sich niemals zuvor als Leibeigner von Soziopathen erwiesen, die es vollbracht haben, ihre (Schuld-)Sklaven bis zum Äußersten ihrer Bürgerrechte zu berauben, während die Sinnhaftigkeit von Gesetzen auf den Kopf gestellt und ad absurdum geführt worden ist.

10. Weder private Haushalte noch Unternehmen haben sich jemals zuvor als derart abhängig von wertneutralem Geld erwiesen, das sich aus Zugewinnen an den Vermögensmärkten – basierend auf Spekulation – ableitet, während es zu keinen nennenswerten Anstiegen der Produktivität oder des allgemeinen Wohlstands gekommen ist.

11. Die Vorherrschaft der Selbstinteressen, die jeden Winkel auf Ebene der Politik und des Finanzwesens ausgefüllt hat, hat sich niemals zuvor als derart vollendet erwiesen, was dazu geführt hat, dass die daraus resultierende Moral sich niemals zuvor als derart verrottet und modrig erwiesen hat.

12. Die anhaltende Abhängigkeit von fiktivem Kapital, das in der Maskerade von „Vermögen“ daherkommt, hat sich niemals zuvor als größer erwiesen.

13. Die Abhängigkeit von Simulakren, Fehlanreizen und Blendfassaden, die dem Verstecken des im Niedergang befindlichen Vertrauens, der mangelnden Glaubwürdigkeit, einer mangelnden Transparenz und einer mangelnden Verantwortungsbereitschaft dienen, haben sich niemals zuvor als derart vollendet und alles durchdringend erwiesen.

14. Die korrupte Verbindung zwischen politischer Macht, Medieneigentum, den Behörden der „Nationalen Sicherheit“ und der durch große Unternehmen und Konzerne ausgeübten Macht haben sich niemals zuvor in einer derart weit verbreiteten Akzeptanzsituation befunden wie heute. Vielmehr wird diese Situation inzwischen weitläufig als „normal“ und „unvermeidbar“ empfunden.

15. Grundlegende Institutionen wie höhere Bildungseinrichtungen, das Gesundheitswesen und die nationale Verteidigung haben sich niemals zuvor als derart dysfunktional, ineffizient, sklerotisch und resistent im Hinblick auf deren Reformierung erwiesen – ganz zu schweigen von den damit verbundenen Kosten.

16. Die breite Wirtschaft hat sich niemals zuvor als derart abhängig von permanenten Manipulationen der Aktien- und Immobilienmärkte durch die Zentralbanken erwiesen.

17. Die breite Wirtschaft hat sich niemals zuvor als derart fragil, brüchig und zudem abhängig von bequemen Fiktionen im Hinblick auf eine Vermeidung eines Crashs an den Finanz- und Vermögensmärkten erwiesen.

18. Nie zuvor in der Geschichte der USA haben die wertvollsten Unternehmen allesamt Güter und Dienstleistungen verkauft, welche sich aktiv auf einen Rückgang von Produktivität und des menschlichen Glücksempfindens ausgewirkt haben.

Hierbei handelt es sich nur um eine Auswahl einer noch weitaus längeren Liste, doch ich bin überzeugt, dass Sie mich im Kern verstanden haben. Entscheidungen auf Analogien aus der Vergangenheit fußen zu lassen, bringt nichts.

Der Crash hat gerade erst begonnen

Während die Aktienmärkte der Federal Reserve auf euphorische Weise vorauseilen und eine V-förmige Erholung der Wirtschaft einpreisen, lässt sich aus realer Sicht behaupten, dass der Crash erst begonnen hat. Um zu verstehen, warum dies so ist, blicken Sie einfach nur auf die Entwicklung der Einkommen und der Verschuldung.

Einkommen, verdient und unverdient, befinden sich jeweils im freien Fall, während die Verschuldung, die mittels Einkommen bedient werden muss, förmlich weiter explodiert.

Im Fall von Rettungspakten handelt es sich um keine permanente Substitution von Einkommen. Kurzfristig betrachtet, handelt es sich im Fall von Bailouts nur um einen notwendigen Ersatz für verlorenes Einkommen. Doch langfristig betrachtet wirkt sich eine Substitution von Einkommen durch geliehenes Geld sowohl schwächend auf die Währung als auch auf die Wirtschaft eines Landes aus, da die Produktivität stagniert.

Hinsichtlich einer Bedienung der ausstehenden Schulden erhält die arbeitslose Arbeiterklasse bis Ende Juli 600 US-Dollar pro Woche extra – und das nicht aufgrund von vorherrschender Generosität, sondern einzig und allein um sicherzustellen, dass diese privaten Haushalte ihre ausstehenden Schulden auch weiterhin werden bedienen können. Hierzu zählen insbesondere Fahrzeugkredite, Studentenkredite, Kreditkartendarlehen, etc.

Wäre es nicht zu einem Bailout durch die Bundesregierung gekommen, hätten Millionen von Arbeitslosen ihre Kreditzahlungen eingestellt, was wiederum zum Ausbruch einer massiven Finanzkrise unter Banken und Kreditgebern führen würde. Auch Einkommen aus Investments rauschen in den Keller, da Unternehmen ihre Dividenden kürzen und Aktienzugewinne aus der Vergangenheit abschmelzen.

Ölexporteure blicken einem Einbruch in Höhe von 1,2 Billionen an jährlichen Einkommen ins Auge, institutionelle Immobilieneigentümer blicken drastischen Rückgängen ins Auge, weil deren Mieter damit begonnen haben, ihre Mieten nicht mehr zu bezahlen. Strukturelle Turbulenzen hinsichtlich der allgemeinen Beschäftigung werden einen enormen Druck im Bereich von rückläufigen Mieten an den privaten und kommerziellen Immobilienmärkten ausüben.

Im Angesicht eines implodierenden Häusermarktes werden sich die Kapitalgewinne, die sich aus einem spekulativen Rein und Raus an den Immobilienmärkten ableiteten, kollabieren. Und während die amerikanische Unternehmenswelt realisiert, aus dem Blickwinkel einer sinkenden Arbeitnehmeranzahl und Millionen von Menschen, die von zu Hause ausarbeiten, nicht mehr länger auf weitläufige Büroflächen angewiesen zu sein, wird sich die Nachfrage nach Gewerbeimmobilien massiv verringern.

Gleichzeitig werden die bislang erzielten Mieteinnahmen im Gewerbeimmobiliensektor von der Klippe stürzen. Selbst im Angesicht eines Nullzinses werden jene Zinsen, die Schuldner an ihre Gläubiger zu zahlen haben, nicht auf null sinken. Doch selbst wenn Kreditnehmer sehr niedrige Zinsen offeriert bekommen, müssen sie noch immer ihre monatlich vereinbarten Tilgungszahlungen leisten, die sich jeweils auf mehrere einhundert US-Dollars pro Monat belaufen können.

Die Zinsen zu senken, heißt nicht, die vertraglich vereinbarten Tilgungszahlungen zu senken oder die im Angesicht dieser Verträge fällig werdenden Zinsen auf null zu reduzieren. In der Tat ist es so, dass sich die Kreditgeber im Bereich der Studenten- und Kreditkartendarlehen als Experten darin erweisen, ihre Kreditnehmer im Angesicht von Verzugsgebühren sowie höheren Zinszahlungen als zuvor beworben, finanziell auszusaugen.

Kapital fließt darüber hinaus nicht in produktive Investitionen, sondern eilt einfach nur dem durch die Federal Reserve gegenüber Finanziers und Banken zur Verfügung gestellten „Gratisgeld“ an historisch betrachtet maßlos überteuerten Aktienmärkten voraus, um „totes Geld“ in „sicheren Häfen“ zu parken.

Jenes Geld, das arbeitslose Arbeiter erhalten, erweist sich als geliehenes Geld, während Kleinunternehmen Notkredite angeboten werden, von denen die meisten sehr wahrscheinlich erlassen werden, wenn diese aufgenommenen Gelder zur Zahlung von Löhnen und Gehältern genutzt werden sollten.

Um es mit anderen Worten auszudrücken, erweisen sich all diese Billionen von US-Dollars zur Substitution von nicht erzielten Einkommen als geliehen. Und während Kapital weiterhin in weitläufig überbewertete Big-Tech-Aktien und „sichere Häfen“ fließt, gibt es kaum irgendwelche Kapitalflüsse, welche eine Rückkehr zur Wiederaufnahme von Geschäften und produktiven Tätigkeiten ermöglichen werden.

Doch aus eben jener Wiederaufnahme von Geschäften und produktiven Tätigkeiten werden exakt die Einnahmeströme generiert, aus denen Löhne und Gehälter gezahlt werden, oder die Einkommen aus Investitionen ermöglichen. Bullische Anleger an den Aktienmärkten können sich darauf berufen, dass „heute alles anders ist“.

Aus diesem Blickwinkel spielen Verschuldung und Einkommen keine Rolle. Doch wo findet sich in unserer Historie irgendein Anhaltspunkt dafür, der ein solches Argument stützen würde?

Wo finden sich historische Vergleiche, die belegen, dass Kapitalflüsse in Richtung von maßlos überteuerten Aktienmärkten zu einer Generierung von verdienten Einkommen führen, mittels denen sich die explodierenden Schulden bedienen lassen werden?

Ihr Charles Hugh Smith

Gastbeitrag für CK*Wirtschaftsfacts / Charles Hugh Smith / The Daily Reckoning / Agora Publishing

„Was heißt das konkret für mich!?“

Dieser Crash hat gerade erst begonnen. Alles, inklusive eines rationalen, an den Realitäten ausgerichtetes und effizientes Finanzsystem, befindet sich in einem Lieferrückstand und wird den Hafen deshalb nicht so schnell verlassen.

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